Filmabend
zum Thema Fluchten


10.08 + 17.08.2008 jeweils 20 Uhr





EINTRITT: 5,- Euro
Kartenreservierung ausschließlich per Email unter Angabe des Veranstaltungstermins, der Personenanzahl, Name und einer Telefonnummer an: fluchten@walkmuehle.net
Reservierte Karten müssen bis spätestens 15 Minuten vor
Veranstaltungsbeginn abgeholt werden.








Programm:

Das etwa dreistündige Programm (mit Pause) präsentiert Videoarbeiten, die zum Teil in der laufenden Ausstellung nicht gezeigt werden können, sowie einen Spielfilm zum Thema. An beiden Sonntagen gleiches Programm.

Andrea Esswein »Ein anderer Alltag«
D 2007, DV/DVD, Farbe ohne Ton, 2:30 min
Eigentlich als gedruckte Exponate in der laufenden Ausstellung präsentiert und nicht als Film gedacht, zeigt der Künstlerverein Auszüge aus Andrea Essweins Fotoreportage, die 2007 in Zusammenarbeit mit psychisch Kranken bzw. unter Demenz und Alzheimer leidenden Menschen entstand.

Edin Bajric »Flucht aus Dubica«
D 2004, DV/DVD, Farbe mit Ton, 14:30 min
Edin Bajric wurde in Bosanska Bubica, Bosnien geboren und lebt seit 1993 in Hannover. Der Film erzählt von seinem Leben als damals Zwölfjährigem während des Krieges in Bosnien und der Flucht nach Kroatien. Durch die einfache Kombination aus freier Erzählung und einer einzigen Einstellung aus dem Fenster eines fahrenden Busses heraus erfährt der Betrachter das Erlebte aus der Sicht des heute 27-Jährigen.

Antal Lux »Fallgeschichte«
D 1992, DV/DVD, Farbe mit Ton, 4:55 min
»Fallgeschichte« reiht sich ein in die Gratwanderung zwischen politischer Position und poetischer Erzählweise, die Antal Lux seit vielen Jahren mit Erfolg betreibt. Eine persönliche Geschichte der Flucht aus einem besetzten Land verdichtet er zu einem eindringlichen experimentellen Versuch über das Fallen, das Überfallenwerden: Ungarn 1956 – Prag 1968. In Berlin ist die Mauer bereits gefallen, doch die Bilder der Geschichte wirken weiterhin.

Sarah Winter »Twittering Keys«
D 2004, DV/DVD, Farbe mit Ton, 3:15 min
Das etwa dreiminütige Video von Sarah Winter zeigt in einer statischen Einstellung ein Piano, und während klassische Klaviermusik zu hören ist, entstehen an seinem Gehäuse plötzlich zunehmend Schäden, die wie Einschusslöcher von Projektilen aussehen. Schnell bemerkt der Zuschauer, dass die Löcher synchron zu den Tastenanschlägen der Musik entstehen, der einzelne Ton gewissermaßen gleichzeitig auch ein Schuss ist. Durch diese Koppelung ist unklar, wer hier Opfer und wer Täter ist. Durch die fortlaufende Musik wird das Piano jedoch nach und nach durchsiebt, und bald scheint es, als exekutiere sich das Klavier durch die von ihm erzeugte Musik selbst. Während klassische Klaviermusik in der Regel der Entspannung und vielleicht auch der Flucht aus dem Alltag dient, wird hier die Rolle umgekehrt: Die Harmonie wird zum symbolischen Auslöser einer Gewalttat.

Andreas Heiser »Fluchtpunkt«
D 2007, DV/DVD, Farbe ohne Ton, 2:15 min
Von der Diskrepanz zwischen gesellschaftlichen Zwängen und dem Einklang mit sich selbst handelt Andreas Heisers Video »Fluchtpunkt«, dessen emotional geprägter Heimatbegriff auf Ausgeglichenheit und innere Ruhe fixiert ist. Nur wenige Sekunden lang erscheint jenes Idealbild, verkörpert von einem entspannt im Schlafsack am Ufer eines Küstensaums Daliegenden, visuell und akustisch die zentrale Szene, eben den Fluchtpunkt des Geschehens darstellend. Auf diese Perspektive hin und von dieser Perspektive aus entschlüsselt sich durch den Lauf mit der Handkamera über eine geschwungene Hafenmole die komplette filmische Arbeit. Rastloses Tun und Unterwegssein, eingebunden auch in soziale Abhängigkeiten, ständig von Geräuschen verschiedenster Art umgeben, sind Zeiterscheinungen, heutzutage nahezu überall erfahrbar. Die Problematik, sich außerhalb des »Ichs« zu überfordern, sich zum Teil auch überfordern zu lassen und weder Muße noch Ruhe für sich zu finden, ist ein gesellschaftliches Phänomen des Zeitgeistes, das der Künstler aufgegriffen und filmisch umgesetzt hat. Sisyphosähnlich begibt sich der Mensch immer wieder von neuem auf die Suche nach dem immateriellen Wert der Ruhe und Ausgeglichenheit, dem Einklang mit sich selbst.

Stefan Panhans »Glow« D 2006, DV/DVD,
Farbe mit Ton, 12:35 min. Courtesy Galerie Olaf Stüber, Berlin
Eine attraktive Frau um die 30 mit sorgfältig aufgetragenem Make-up, in modisch aktuellem Sportdress, mit Gewichten und einem Pulsmesser am Handgelenk sowie einer Art Trinkrucksack auf dem Rücken ist in der Mitte des Bildes, einen Crosstrainer bedienend, von der Seite zu sehen. Wie eingespannt in den Apparat trainiert sie ohne Unterlass mit höchster Konzentration. Befremdliche, abenteuerliche Actionmanöver, die an Videospiele erinnern, werden von ihr ausgeführt, als ob die Frau immer wieder ihr entgegenfliegenden, für uns unsichtbaren Gegenständen, ausweichen müsste. Die Protagonistin führt dazu einen entrückt wirkenden, andauernd an- und wieder abschwellenden, inneren Monolog von dem wir nur geflüsterte Wortfetzen erahnen können. Mal ist sie eher agressiv, fast hysterisch kraftvoll mal fast schon verzweifelt müde kämpfend, um sich im nächsten Moment aber sofort wieder neu zu konzentrieren und zu motivieren. Aus ihren Kopfhörern ist den Rhythmus vorgebende Technomusik zu hören. Ab und zu piept agressiv ihr Pulsmessersignal. Endlos und alleine »trainiert« die Frau, von dem merkwürdigen Bild, das mit seinem harten Schärfeabriss auch eher mit filmischen Mitteln spielt als der All-over Schärfe des Videos zu entstammen, und der Musik, die sie zu einer rätselhaften Heldin macht, wie »caramelisiert«.

Stefan Panhans »Who's afraid of 40 Zimmermädchen«, D 2007, DV/ DVD, Farbe mit Ton, 35 min. Courtesy Galerie Olaf Stüber, Berlin
Wie auch in den anderen Videos von Stefan Panhans ist in »Who's afraid of 40 Zimmermädchen« nichts dem Zufall überlassen, vielmehr gibt sich das Setting deutlich als allegorische Darstellung zu lesen. Zwei Figuren – die männliche trägt, als leiser Anklang an Dürers Melancolia I, langes Haar – sitzen in der scheinbar »natürlichsten Natur« bei Nacht am Feuer. Sie sind umgeben von Emblemen, neuinterpretiert als Warenfetische wie die hochpreisige Rockgitarre und die Maglite-Taschenlampe. Allein, es sind Allegorien ihrer Unlesbarkeit. Sie verweisen nur auf sich selbst, ohne eine verborgene Bedeutung freizulegen. Panhans verbindet in diesem Video die Sinnentleerung der Allegorie mit einer Neuinterpretation des surrealistischen Automatismus im Zeichen der Obsession. Denn, was die beiden Personen im Video sagen, ist vor allem das, was unwillkürlich in uns spricht. Es ist allerdings weder das Unbewusste noch die Sprache selbst, sondern ein Potpourri des neuesten Infotainment. Das Gesprochene ist eingeschleust: vom Gossip aus Hollywood über den Blondinenwitz und der rezitierten Werbung für die Wellnesskur bis hin zu den Ergebnissen einer empirischen Forschung. Dass sich im Subjekt etwas auch gegen seinen Willen zur Aufführung bringt, wurde in der Tradition als göttliche Mania, Inspiration oder Paranoia gedeutet. Im Zeitalter der digitalen Kommunikation erweist sich das polyphone Sprechen mit fremden Zungen als der ungewollte Empfang von Schund, Spam und Trojanern, vor denen die Firewall anscheinend nicht mehr schützen kann. Zugleich, und das macht die Stärke des Dialoges im Video aus, haben die beiden Protagonisten ein partielles Wissen um ihre Entfremdung. Dieses äußert sich als Angst. Das leere, uneigentliche Gerede wird unterbrochen von Phasen der Luzidität, in denen aber anstelle von Selbstgewissheit eine bedrückende Unheimlichkeit Einzug erhält. Ihrer gewohnten Umgebung entrückt, wissen sie weder warum, noch wo sie sind, und auch die Zeit ist aus den Fugen. Deshalb darf man unterstellen, dass die uniformierte weibliche Figur den Apfel, nach dem sie mehrfach verlangt, zumindest unbewusst vom Baum der Erkenntnis zu pflücken erhofft. (Text: Kathrin Busch)

PAUSE

»Kleine Fluchten (Les petites fugues)«, Spielfilm von Yves Yersin, CH 1979, 16 mm/DVD, Farbe mit Ton 138 min.
Auf einem Bauernhof mit traditionellen Hierarchien, auf dem die Zeit still zu stehen scheint, vollzieht sich ein erst stiller, dann aber umso heftigerer Umbruch: Der Knecht Pipe, seit mehr als dreißig Jahren eine treue und zuverlässige Arbeitskraft, kauft sich mit seiner Altersrente ein Mofa. Diese für die Bauernfamilie völlig unverständliche Anschaffung verändert schlagartig sein Leben. Der Saisonnier Luigi hilft ihm dabei, allmählich das Gleichgewicht auf den zwei heimtückischen Rädern zu finden. Nach zahlreichen wackligen Versuchen unternimmt Pipe erste Entdeckungsfahrten in die nähere Umgebung und beginnt darüber, seine Arbeit zu vernachlässigen. Auf einem dieser Ausflüge lernt er eine Gruppe von jungen Motorradfahrern kennen, die er zu einer Motocross-Veranstaltung mit Festplatz begleitet. Mit verhängnisvollen Folgen.
Yves Yersins ungemein sorgfältiger und poetischer Film schildert auf heitere Art den glaubhaften und einleuchtenden Prozess einer Selbstbefreiung. Einer der subtilsten und originellsten Filme zum Thema »Freiheit auf Rädern«.

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